Sonntag, 26. Juni 2011

Ein neuer Typus von Web-Journalisten

Seit Tagen lässt mich dieses kurzes Stück aus der Funkkorrespondenz nicht mehr los. Wie Daniel Bouhs zu recht anmerkt (siehe Bild), wundert sich das Medienmagazin über den Output des DWDL-Kollegen Alexander Krei, der innerhalb von 25 Stunden 13 Texte veröffentlichte. Die große Mehrzahl der Stücke waren aggregierte Meldungen, was trotzdem eine beachtliche Leistung ist. “In diesem Autor kann man einen Medienjournalisten neuen Typs erkennen”, heißt es in dem Text. “Jeder Verlag, der noch Journalisten beschäftigt, die für einen einzigen Artikel mehr als eine Stunde brauchen, wäre erfreut über solche Produktivität eines Einzelnen. Das Internet macht’s möglich.”

Ich weiß bis heute nicht, ob der Autor “da” nun erschreckt, überrascht oder sonst was ist. Alexander Krei ging es offenbar ganz ähnlich. “Seien wir mal ehrlich: All das ist schnell (und, soweit ich das beurteilen kann, auch sauber) vermeldet. Den sich daraus möglicherweise ergebenden (versteckten) Vorwurf, die Qualität bleibe dabei möglicherweise auf der Strecke, müssen natürlich andere beurteilen”, bloggt er.

Ich kann aus eigener Erfahrung die Arbeitsweise von Krei sehr gut verstehen. Mittlerweile scheint es mir ganz offensichtlich, dass wir es hier mit einem neuen Typen von Web-Journalismus zu tun zu haben. Dieses neue Berufsbild ist ein Zwitter aus der Tätigkeit eines Nachrichten-Aggregator und eines klassisch recherchierenden Journalisten.

Das fast schon selbstverständliche Aggregieren der Leistungen anderer Medien in Form von eigenen Meldungen, wie es Redaktionen wie DWDL, genauso wie MEEDIA.de und viele andere Web-Portale betreiben, ist eine Reaktion auf die noch recht junge Blogger-Kultur. Denn der ihr innewohnende Anspruch, alle Nachrichten möglichst schnell und direkt bloggen zu wollen, haben sich vor allem kleine Fach-Redaktionen - wie selbstverständlich - zu eigen gemacht. Zudem konkurriert man längst auch mit Blogs.

Auch finanzielle Zwänge sind für das stetige Aggregieren verantwortlich: Da die meisten kleinen Fach-Redaktionen kein Geld für teure Argenturticker haben, muss eben jede relevante Meldung selbst geschrieben werden. Allerdings besteht die Kunst darin, den richtigen Mix aus eigenen exklusiven Stücken und Analysen sowie aggregierten Meldungen zu finden.

Die Kehrseite I: Der immense Ausstoß dieser neuen motivierten Web-Journalisten lässt die Überlegungen einiger Chefredakteure wie die des Pcwelt.de-Chefredakteures, Andreas Perband, in einem anderem Licht erscheinen, für eine Meldung nur 10 Euro zu zahlen.

Die Kehrseite II: Man sehnt sich danach, für ein Stück mal richtig lange Zeit zu haben. Aber im Redaktionsalltag fehlt diese Zeit meistens. Die Folge: Längst sind die Story und die Recherche der Star. Der Text bleibt funktional. Es fehlt schlicht die Zeit für eine besonders ausgefeilte Formulierung. Unter den neuen Web-Journalisten gibt es kaum Edelfedern.

Allerdings: Die neuen Web-Journalisten sind extrem belastbar. Und wieder liegt der Grund dafür in der Blogger-Kultur. Sie lebt uns seit Jahren eine 24/7-Always-on-Attitüde vor. Es gibt längst keine Work/Life-Trennung mehr. Ich bin immer im Einsatz und wenn ich ins Bett gehe und eine vermeintlich wichtige News ist noch nicht geschrieben, tut mir das - wahrscheinlich genauso wie Alexander Krei und einigen anderen - regelrecht körperlich weh. Ob es den Print-Kollegen auch so geht? Keine Ahnung.

3 Kommentare:

  1. Ach du meine Güte. Alle haben ja so Recht. Trotzdem sind es zwei Paar Schuhe, nämlich News und Hintergrund.

    Gerade mit dem Internet lassen sich wunderbar lange Geschichten schreiben, es gibt eine Quellenvielfalt wie nie zuvor, Aggregatoren, Crowdsourcing, Data Journalism und, und, und. Aber die Rede ist immer von News und 24/7. So ein Unsinn.

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  2. Sah gerade den Link zu Ihnen im Perlentaucher.

    Die von ihnen skizzierten, journalistischen Arbeitsprozesse sind sicher zutreffend beschrieben. Nur: Ist das ein neuer Typus von Webjournalismus? Da habe ich Zweifel.

    Aus eigener Erfahrung und aus wissenschaftlicher Analyse kann ich dazu nur sagen, dass es dieses Aggregieren im Print- wie im Onlinejournalismus schon seit langer Zeit gibt. Das Zusammenschreiben von Artikeln aus Archiven etwa kommt selbst in renommierten Wochenzeitungen vor, sogenannte "kalte Recherche". Und Mitte der Neunziger wurden in den damals noch jungen Onlineredaktionen die Artikel vielfach ebenfalls allein unter Zugriff auf Webquellen gebaut. Gut für den Journalismus war das damals weder hier noch dort, neu ist es jedenfalls nicht.

    Was heute anders ist, das ist auf der einen Seite sicher die Dimension: So viel aggregierten Stoff, wie er in dieser Minute im Web zu finden ist, hat es vermutlich nie zuvor gegeben.

    Viel wichtiger noch ist ein anderer Aspekt: Ganz so professionell unangemessen wie einst ist das Aggregieren als Verfahrensweise heute aus meiner Sicht nicht mehr. Denn durch die unzähligen Livetextströme in Twitter, Facebook und Co. ist den Aggregationsformen eine ganz neue, eigene Funktion zugewachsen - mit ihnen kann festgehalten werden, was sich sonst in den Textströmen verlieren würde. So lange das klar für die Nutzer zu erkennen ist, ist dagegen nichts einzuwenden. Die Innovation des Aggregieren liegt also in der neuen Funktion, nicht im Aggregieren als Arbeitsprozess.

    Ansonsten kann ich Opalkatze nur zustimmen: Da draußen im Web gibt es weit mehr als nur den Trommelwirbel aus gelegentlich multimediagarnierten Textschnipseln und aggregierten Meldungen.

    Schöne Grüße
    Stefan Heijnk

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  3. @ Stefan Heijnk

    Ich geben Ihnen völlig recht. Ich halte das Aggregieren auch nicht für ein Problem. Ich wollte tatsächlich nur die Arbeitsweise erklären. Im Grunde wäre es einfacher, wenn man ein Stilmittel finden würde, was es jeder Online-Redaktion ermöglicht auf eine interessante Meldung eines anderen Mediums hinzuweisen und dann zu verlinken. Man würde so die News den eigenen Lesern zugänglich machen, könnte sich aber verstärkt um eigene Recherchen kümmern.

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